Wenn ich von meiner Heimat schreibe dann schreibe ich über Moers. Meine Stadt am Niederrhein. Dort liegt meine Wurzel. Dies ist auch der Urbegriff von Heimat. Heim = Zuhause, at = liegen*.
Mein Niederrhein zeichnet sich durch Dörfer aus, die wie Oasen in einer endlosen grünen Landschaft liegen. Gepaart mit der Kopfweide, reihen sich etliche Blumenfelder aneinander, bis in zur niederländischen Grenze. Moers ist das Tor zwischen Niederrhein und Ruhrgebiet. Wer behauptet der Niederrhein hätte keine Kultur, darf gerne ein Jahr abstinent werden und nach einer Portion, knusprige Apfelpüfferkes, seine Aussage wiederholen. Ich erinnere mich an meinen Laufweg. Dieser führte über Baerl nach Orsoy (Orsau), den Rhein entlang, zurück zum Moerser Bahnhof. Ich folgte dem Damm in Richtung der Strömung des Rheins. Die prachtvollen Wiesen erstrecken sich bis zum Horizont. Ein Festmahl für unsere Kühe und Schafe. Die ist der Niederrhein, dies ist meine Heimat.
Ich vermeide jetzt jegliche wortgewandte Brücke zum Thema zu schlagen.
Safoura kann nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren.
Sie ist keine Heimatlose. Ihr Zuhause ist eine Heimat ohne Wiederkehr. Sie ist leidenschaftliche Tänzerin und tanzen ist in der islamischen Republik ein Verbrechen. Islamische Republik muss nicht mit dem wahren Islam gleichgesetzt werden und die Thematisierung über den Missbrauch von Mensch und Religion füllt ganze Bücher. Hier geht es um Safoura. Man hat sie von ihrer Wurzel getrennt. In unserer Gesellschaft ist dies unvorstellbar. Auch wenn in sage dass ich ohne Safoura nicht nach Europa zurückkehre, stehe ich mit meiner Entscheidung frei. Wenn Safoura in ihre Heimat zurückkehrt, wird sie festgenommen und eine weitere Ausreise wäre wahrscheinlich nicht möglich. So hat sie sich zwischen der Freiheit und der Heimat zu entscheiden. Wie fühlt sich eine Heimat wohl an wenn sie zum Gefängnis wird? Freiheit ist der Urinstinkt in allen fühlenden Wesen. Ein gut bewirteter Vogel im Käfig schlägt seine Flügel und entflieht nach draussen sobald sich die Chance bietet. Freiheit ist ein Druckmittel und Freiheitsentzug ist eine Strafe. Freiheit ist ein Grundrecht und Freiheit ist unser Ziel.
Die Heimat lässt Safoura nicht los und Safoura hält an ihrer Wurzel fest. Dies verursacht Schmerz. Wie zwei Knochen die aneinander reiben. Am ersten Tag kam die Trauer. Tränen flossen. Ihre Heimat schien für sie verloren. Am zweiten Tag wurden mehr Tränen verflossen. Sie erinnert sich an die letzte Umarmung ihrer Mutter. Es sollte die letzte Umarmung für eine lange Zeit sein. Die Hoffnung kam erst die Tage danach. Ideen werden entwickelt und nach Lösungen gesucht. Die Hoffnung wuchs und lies der Trauer kaum noch Platz. Auch wenn sie die Tage danach nicht mehr davon gesprochen hat, sah ich ihren Gedanken. Dieser bestand nur aus einem Wort. Heimat.
Ich erfuhr erst später dass es noch einen Monat gedauert hat bis sich die Trauer legte. Der Besuch ihrer Schwester vermochte die Trauer zu verdrängen. Doch das Gefühl keimte, nach der Heimreise ihrer Schwester, wieder auf. Unser Weg durch die Türkei diente der Zerstreuung und erst unsere Rast am schwarzen Meer düngte die Trauer. Dies fiel mir nicht auf, bis zu jenem Tag in Rize. Safoura wurde scheinbar ohne jeglichen Grund aggressiv und schrie um sich herum. Die Dämmerung setzte ein und da stand sie dann. Schluchzend und schreiend am tobenden Meer. Die Wellen peitschten gegen die Felsen und schienen ein Spiegelbild ihrer Gefühle zu sein. Wütend, aufbrausend und unaufhaltbar. Das Chaos ist nicht Teil des Meeres doch Teil ihrer Gefühlswelt. Sie stellte ihre Zukunft infrage da sie sich ihrer Herkunft bewusst war. So idiotisch der Gedanke ist, so idiotisch war die Idee, die Verantwortung über ihr selbst abzugeben. Die Wellen sollten über ihr Schicksal entscheiden und ich machte mich bereit dies zu verhindern. War es dann die Vernunft oder die Hoffnung die siegte? Mit langsamen Schritten und starren Blick, entfernte sie sich, Zentimeter für Zentimeter von der Küste. Ich atmete auf und es schien vorbei. Doch dies ist nur ein Trugschluss. Auch für sie selbst.
Safoura am schwarzen Meer
Heimat ist nie vorbei. Auch wenn wir von der Wurzel getrennt sind, so ist sie nicht abgeschlagen. Die Heimat ist mit uns. Die Seele der Heimat ist in uns und zieht uns zurück zu unserer Wurzel. Kann es die Freiheit ohne Heimat geben? Ich beantwortete Safoura diese Frage indem ich sagte, die Freiheit und das Glück sind unser Ziel und wir werden es erreichen.
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Das Wort Heimat kommt aus alten Sprachen: althochdeutsch, mittelhochdeutsch, wo es um das Heim ging. Und die Endung -at bedeutet ‚liegen‘. Heimat heißt also: ‚Da, wo das Heim liegt‘ und ist als feststehender Begriff erst im Mittelalter, im 13. Jahrhundert, aufgekommen.