Der einsame Mann von Ulubey

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Wie lassen sich die Wunder der Natur am besten beschreiben?
Wobei die Göttin der Natur an sich so wunderbar ist.
Das Blau des Himmels, das Grün des Grases, all diese Wunder vermögen wir nicht beschreiben zu können. Wenn wir auf Mutter Erde liegen und gen dem Himmel starren, das frische Gras riechen und jede einzelne Pore unserer Haut das Sonnenlicht empfangen, sind wir uns diesem Wunder der Natur nicht bewusst.
Die Sonnenstrahlen reichen bis zum Grund und die Felsen leuchten im ocker/beige Gemisch auf. Kleine Höhlen kommen zum Vorschein, die Millionen von Jahren zuvor als Unterschlupf für Meeresbewohner dienten.

Der Wind zieht auf und fällt von den Klippen hinunter zum Grund und saust über das grüne Gras. Er erweckt die Bäume zum leben und in einem gemeinsamen Rauschen erzählen sie ihre Geschichte. Eine Geschichte die mehrere hundert Generationen zurück liegt.

Doch die Schlucht von Ulubey vergisst nicht.
Sie kann nicht vergessen, denn Geschichten müssen weiter erzählt werden und wenn wir den Bäumen zuhören würden, so hörten wir Geschichten aus längst vergangener Zeit.
Der Mann mit dem Hut lauscht den Bäumen und ist nicht auf das Verständnis der Sprache angewiesen, er muss nur lauschen und sein Herz hilft ihm die Worte der Natur zu verstehen.
Die Bäume tragen die Geschichte eines Schicksals zu ihm, ein Schicksal dass schon zu vergessen droht.
Doch die Felsen der Schlucht erinnern sich und das Echo des letzten Lebens hallt wie ein Geist durch die Schlucht. Ein Geist der verloren scheint und hier im Diesseits gefangen ist.
Gekettet an einem Herz aus Stein.
Die Bäume erzählen von einem großen Königreich und großen Königen.

“ Von unseren Lidern wird der milde Schlummer , der herzbelebende, nicht fortgescheucht.“ Bakchylides. Unbekannter Autor.

Der Wind bläst durch die Äste und bringt die Blätter zum erzittern. Sie besingen König Krösus und zeigen auf das steinerne Herz.

2

Das lydische Königreich erstreckte sich von Westanatolien bis hin zum roten Fluss Halys. In der Hauptstadt Sardes thront König Krösus, König der Lyder.
Ein Gebieter dessen unermesslicher Reichtum nur von seiner Nächstenliebe überboten wird.

Ein Mann von stämmiger Statur, der das Schicksal heraus forderte und der Fluss Halys ihm antworte. Halys braucht ihm die Niederlage und auf Knien wandelte er durch den Palast, auf der Suche nach einem einstigen Freund und blickte gen Himmel. Es ist der selbe Himmel, der hunderte von Generationen überstand und auch schützend über der Schlucht von Ulubey liegt.

Die Schlucht erstreckt sich über 45 Kilometer und in der Tiefe verstummt jeder Schrei, gefangen zwischen den Felswänden die unüberwindbar scheinen. Doch die Höhe ist ein guter Freund, derweil die Einsamkeit Lehrmeister ist und ein Feind sein kann, aber welcher Lehrmeister ist schon ein Freund?!

Die Einsamkeit züchtet, liebt und lässt keinen Platz zum atmen. Die Einsamkeit schleicht sich an und krallt sich fest, wie an den alten Mann.
Die pechschwarze Nacht legt sich über die Schlucht und noch nicht einmal der Mond wagt es die Dunkelheit mit Licht zu durchbrechen.
Der einsame Mann von Ulubey, hockt auf allen Vieren auf dem Boden und ist machtlos gegenüber dem Beben seines Körpers. Die hölzerne Tür seiner Steinhütte gerät bei jedem Schlag aus den Scharnieren. Ohne jegliches Gefühl von Mitleid hämmert der schwarze Bär gegen die Tür und lässt den einsamen Mann kriechen. Schützend hält er seine Arme über den Kopf. Tränen fließen als Botschafter der Furcht und gleiten zum Boden und durchtränken das Holz mit Salz, die Frucht der Trauer. Der schwarze Bär will es und hämmert weiter. Er brüllt und weiß dass dem einsamen Mann von Ulubey niemand zur Hilfe kommt.

Das Gebrüll verstummt in der schier endlos langen Schlucht und das steinerner Haus steht nun friedlich und still neben dem kleinen Fluss. Das Plätschern des Wassers dringt bis zu den Ohren des einsamen Mannes vor. Der schwarze Bär ist verschwunden, doch er kommt wieder, wie jede Nacht.
Der einsame Mann nimmt seine Arme vom Kopf herunter, sein zotteliges graues Haar fällt ins Licht der Morgendämmerung und er richtet seinen kleinen Körper auf, sitzend auf seine Knie. Er offenbart ein Nest dass er mit seinem Leib vereidigt hat. Im Herzen liegt wohlbehütet ein Ei.

Die ungeborene Seele des Guten, dessen Wohl seine Wiedergeburt ermöglichen soll. Mit seinen knochigen Fingern tastet er die Schale des Eis ab um sicher zu gehen dass diese unschuldige Seele verschont geblieben ist.

Die Furcht vor dem schwarzen Bären ist stark in der Nacht, denn im Schutze der Dunkelheit, kommt er unerkannt, nimmt Besitz und zerstört. Flehend kniet der einsame Mann vor dem Nest und schluchzt

Ich bitte um Verzeihung, bitte verzeihe einem alten Mann, dessen verdammte Seele nicht anders kann als zu brüllen und die Unschuld zu vernichten welche doch das Leben verdient hat. Ich fechte den Kampf mit dem Bären mein Lebenlang aus und habe ihn zu oft die Überhand nehmen lassen. Viel zu viele Male erlag ich seiner Kraft und seine gewalttätige Natur überkam mich und bezwang den müden Körper, den schwachen Geist und ließ mich zum Außenseiter werden.“

Dem einsamen Mann rannten die Tränen davon und flüchteten erneut auf den Holzboden um ihn mit Trauer zu fluten. Worten reichen nicht um den Kampf der letzten Jahre zu beschreiben.

Die Felswände der Schlucht sind die Fesseln des Bären und mein Gefängnis. Ich erliege meiner Strafe und lebe in tiefster Schuld und Demut in der Tiefe. Gefangen zwischen den Schatten der Vergangenheit und der Furcht vor den Fehlern der Zukunft. Meine einzige Hoffnung bist du. Du bist das Licht, das Leben, die Vollkommenheit in Form einer Chance. Dir darf nichts passieren, lebst du, befreit es mich“

Die Sonne geht langsam über der Schlucht von Ulubey auf und taucht das tiefe Tal in eine goldene Farbe. Die Felsenkleiber fliegen von Höhle zu Höhle um nach einer geeigneten Brutstätte zu suchen.
In den natürlichen Felshöhlen Mauern die Vögel den Ausgangbeinahe vollständig zu. Nur ein kleiner Spalt bleibt übrig um heraus fliegen zu können. Der Nachwuchs ist komplett behütet und sicher vor gefährlichen Eierdieben.
Der kleine Fluss ist die Lebensader, unermüdlich zieht er seine Bahn durch das Tal und sein Plätschern durchbricht den tösenden Krach der Einsamkeit. Eine Brücke verbindet beide Ufer miteinander, dort wo das kleine Haus steht, welches nicht viel mehr als ein Raum mit Dach ist. Die Sonne erfasst das Dach und schießt die ersten Strahlen durch das Fenster.

Der Tag ist zurück und wird nicht weichen ehe die Dunkelheit die Welt erneut erobert. Der einsame Mann hebt das Nest hoch und trägt es zu dem Platz am Fenster. Das Ei soll die Wärme der Sonne empfangen und dem neuen Leben Kraft spenden.

Jeder Grad an Wärme soll das Glück deiner Zukunft sein und mein Rücken das Fundament deiner Geburt. Das Leben ist kostbar und voller Chancen. Ich kann die Schatten der Vergangenheit nicht das Licht deiner Geburt greifen lassen um die Fehler der vergangener Zeiten zu wiederholen. Ich musste zurückweichen und mich all der Liebe entziehen und der Wärme entsagen. Von all den herrlichen Liebkosungen der Welt habe ich mich verabschiedet und den Versuchungen den Rücken gekehrt. Einsam war ich schon immer.“

Der einsame Mann von Ulubey, er treibt vor sich hin, bangt um seine Zukunft und kämpft gegen seinen großen Feind. Manchmal so ist die Einsamkeit ein Freund, ein sicheres Gefühl dass immer zugegen ist. Die Einsamkeit verlässt ihn nicht, sie umgibt ihn und will ihn für sich. Die Einsamkeit betrügt ihn nicht, sie zeigt stets ihr wahres Gesicht und ist wie der Wind. Eine Böe die den Rücken stärkt und ihn vorran treibt, ein anderes Mal weht der Wind ihm entgegen und drängt ihn zurück.

Dann ist die Einsamkeit wie der Hunger, sie schmerzt und verlangt nach mehr Schmerzen. Der Geist hungert und kratzt von Innen, er streikt und verliert an Kraft, welcher doch der Antrieb des Lebens ist. Dieser Gegenwind stoppt ihn auf seinen Weg und es wird schwieriger für ihn seinen Weg zu gehen, die Einsamkeit als Lehrmeister. Die Sonne zieht ihre Bahn über der Schlucht. Geräuschlos bewegen sich die Schatten und wenden sich aus Furcht vor der Sonne ab. Der Wind trägt positive Energie und Geschichten aus weit entfernten Orten in die Schlucht und der einsame Mann von Ulubey lauscht ihnen und nährt seinen Geist. Sein zu Stein gewordenes Herz wiegt schwer und mit Bedauern entsinnt er sich einer längst vergangenen Zeit.

3

„Die Aranea ist gekommen“ rief König Krösus und fand sich im Bett seines Schlafgemachs wieder. Sardes leuchtete in der Nacht, als das Licht des Mondes auf das Haupt des lydischen Reiches fiel. Auf ein Reich dessen Schuld auf der Schwäche der menschlichen Natur fußt. Gott vergab ihnen und hielt seine Hand schützend über das Königreich.
Er machte keinen Unterschied zwischen den Gläubigen und den Ungläubigen, zwischen Mensch und Tier. König Krösus war für seine Freigiebigkeit bekannt und öffnete sein Herz für die Mitmenschen. Es wurde vor niemanden verschlossen, auch nicht vor ihm selber. Durch die Liebe zu anderen Menschen, fühlte er die Liebe zu sich selbst und pflanzte den Baum der Barmherzigkeit.

Oh welch ein Leben er führte, ohne jeglichen Selbstzweifel und Anflug von Bitterkeit. Ohne gegen sich selbst kämpfen zu müssen, hasserfüllt und selbstzerstörend. Die Nacht hatte er stets im Blick und fürchtete keine Auseinandersetzunge mit ihr. Er respektierte sie, vertraute ihr und ließ ihr den Platz den sie brauchte. Die Nacht faltete sich aus, hüllte alles ins Dunkle und lüftet ihr Geheimnis nur demjenigen der es versteht, Licht in seinem Herzen zu entzünden. Seinen Glauben wandte er den Göttern zu aber überließ ihnen keinen Tag seines Schicksals.

Während Kyros der Zweite die Nachbarländer sich einverleibte, bangte Krösus um sein Reich und er wandte sich den Orakeln zu. Um die Zuverlässigkeit der Weissagungen zu prüfen, beschloss er Kundschafter zu den mächtigsten Orakeln auszusenden. Exakt am hundertsten Tag ihrer Abreise sollten sie das jeweilige Orakel fragen was König Krösus genau zu dem Zeitpunkt macht. Nur die Pythia von Delphi beantwortete diese Frage korrekt, indem sie sagte dass Krösus sich gerade eine Mahlzeit aus Schildkröte und Lammfleisch in einem ehernen Topf zubereitet. König Krösus war zufrieden und erkannte für sich die Chance sein Schicksal selbst zu bestimmen um den Ängsten der Zukunft entschlossen entgegen zu treten.

4

Bedächtig sitzt der einsame Mann von Ulubey am Fluss vor seinem Haus und schwelgt in einer Erinnerung die nie vergeht und sein ganzes Leben bestimmt. Ein Leben dass er zwischen der Strafe des Universums und Geschenk der Götter einordnet. Im Kindesalter erfuhr er von seiner vergangenen Schuld und hüllte sich in Scham ein.
Die verehrten Eltern verstanden die Belastung ihres Sohnes nicht und beteten jeden Freitag darum den geliebten Sohn freizulassen. Doch das Universum ist in Bewegung und lässt sich weder aufhalten noch die Richtung in der es sich dreht ändern. Elenden Ärger musste sich der geplagte hingeben, bis hin zur Ausgrenzung.

Als der Knabe zu einem jungen Mann heran wuchs, suchte er nach Hilfe. Zu schwer wog die Last der Schuld, die ihn nicht mehr los ließ. Der Druck stahl ihm die Luft zum atmen, sein Herz belud sich mit der Last und die Trauer war sein ständiger Begleiter.
Die Schuld lag wie eine Wolke um seinen Verstand und der Geruch des Verrates umgab ihn. Er hatte einen guten Freund verloren und anstatt seinem Schicksal zu folgen, plagte ihn sein Geist, der von Generation zu Generation wandert. Ein Meister aus längst vergangener Zeit offenbarte ihm sodann sein Schicksal und prophezeite dass die Fänge seiner Vergangenheit nur unter dem strengen Gehorsam der Einsamkeit zu lösen sind.

Die Einsamkeit ist der Schlüssel zu den Toren des schwarzen Bären. Nur mit seiner Hilfe wird er seine Schuld in Freiheit umwandeln können um künftige Generationen ein freies Leben zu ermöglichen. So zog der Mann in die Einsamkeit, Einsamkeit und der Mann verschmolzen und der einsame Mann stellte sich dem schwarzen Bären.

Am Tag Gebot er ihm Einhalt und mustig stelte er sich ihm entgegen. Doch in der Nacht blockierte die Schuld seinen Mut und die Angst fesselte seine Gedanken und er stand dem schwarzen Bären schutzlos gegenüber.

Der einsame Mann sitzt auf den Felsen am Fluss und sieht dabei zu wie das Wasser seine Bahn zieht. Er erkennt jeden Tropfen Wasser wieder. Der selbe Tropfen Schwan schon einmal an ihm vorbei. Er durchläuft den Fluss immer wieder und zieht seinen Kreis um die Welt.

Der Fluss markiert eine Grenze, die der schwarze Bär jedes Mal aufs neue zu überschreiten versucht. Der Schein der Sonne entblößt sein schwarzes Fell vor den Augen des einsamen Mannes. Behutsam läuft der Bär am Fluss entlang und geht auf allen Vieren auf die Brücke zu. Mit erhobenen Haupt stellt der einsame Mann sich an die Brücke, bereit sich dem schwarzen Bären entgegen zu stellen.
Der Bär bleibt auf der anderen Seite an der Brücke stehen, richtet seinen gewaltigen Körper auf und brüllt in Richtung des einsamen Mannes. Doch der einsame Mann bleibt regungslos stehen, weicht keinen Schritt zurück und blickt ihm ohne Furcht in die Augen.

Du bist ich und ich kenne mich. Ich weiß was mein Innerstes begehrt, wovor ich mich fürchte und wie ich diese Furcht bezwingen. Ich fürchte mich davor diesen Kampf zu verlieren und die Chance auf ein Leben ohne Schuld. Ich habe Angst davor Sonne in mein Herz zu lassen um den Stein zu durchbrechen dass es umschließt. Dennoch stelle ich mich dieser Furcht und lasse meinen Mut in den Himmel wachsen, so dass er dich erschlägt und verbannt, in die hintersten Winkel meiner endlosen Gedanken. Jeder soll den Baum meiner Barmherzigkeit sehen, von seinen Früchten kosten und erkennen dass die Liebe viele Sünden zudeckt. So lasse ich meine Schuld begleichen. Eine geborene Seele gegen die Schuld eines getöteten Freundes.“

Der schwarze Bär brüllt und der einsame Mann hebt seine Arme um deutlich zu machen dass jedes Wort aus seinem Mund, die Härte seines steinernen Herzes übertrifft. So senkt der Bär seinen mächtigen Körper nieder und verstummt. Gegen den stählernen Blick des einsamen Mannes hat er nichts entgegen zu setzen. So zieht der schwarze Bär sich zurück und verschwindet in den Sträuchern der Schlucht. Er wurde besiegt, doch in der Nacht wird er wieder kommen und das Blatt sich wenden.

5

Balchemir war der getreueste Begleiter des König Krösus. Der König vertraute ihm, wie es das linke Bein dem rechten Bein tut. Von Kindesalter an waren die Beiden unzertrennlich und allezeit folgte der Eine dem Anderen in jede Schlacht. Sie ritten über die Felder und durchstreiften die Berge Lydiens, stets mit einem Auge aufeinander. Wie Blutsbrüder standen sie Rücken an Rücken, zusammen gegen jede Bedrohung.
Ganz gleich wie groß der Gegner auch zu sein schien, der Bund der beiden Freunde vereinte war stärker und zog nach jedem Kampf den Sieg mit sich.

Balchemir und Krösus bildeten diesen Bund der unbesiegbar war. Bis zu den Tagen an denen die Perser kamen.
Das persische Reich rückte aus und Kyros der Zweite, führte seine Armee an und eroberte Anatolien. Die Furche der Zerstörung ging an Lydien vorbei, doch König Krösus plagten Zweifel. Sein Hunger nach Ruhm wurde größer und der Sieg über Kyros sollte seinen Hunger stillen und würde ihn unwiderrufliche Unsterblichkeit und Reichtum bringen.
Balchemir überlegte wohlweislich und wendete sich mit warmen Worten zu Krösus.

Mein König, du siehst dass die Perser keine Gnade zeigen und wie eine gewaltige Flut über das Land ziehen. Sie überschwemmen Dörfer, ziehen Armeen in ihren Sog und reißen sämtlichen Reichtum an sich. Dein Reichtum ist unermesslich und dein Name hallt durch die Flure aller Paläste. Lydien liegt dir zu Füßen und von West nach Ost bedarf es vieler Nächte um dein großes Reich zu durchqueren. Bewahre Lydien vor einen Krieg und ersuche den Frieden mit den Persern. Nur so wirst du beschützen können was du liebst. Ich bitte um Frieden, ich bitte darum deinem Bruder zu vertrauen.“

Dem König überkamen Zweifel und die Vorstellung seines unsterblichen Namen verschwand im Angesicht des Leids dass der Krieg mit sich bringt. Als er beschloss die Perser nicht anzugreifen, kehrte sein Kundschafter aus Delphi zurück. Er trug dem König die Prophezeiung zu und scheuchte seine Zweifel beiseite so dass der Wunsch nach Ruhm sich verhärtete, geschützt gegen den Hauch der Zweifel. Der Klang der Prophezeiung versprach einen Sieg, füllte seine Ohren und umhüllte seinen Verstand.

Wenn du den Fluss Halys überquerst, wirst du ein Reich zerstören

König Krösus hatte sich entschieden und Balchemirs Warnung war nicht mehr die Luft wert mit der die Warnung ausgesprochen wurde. Er würde das persische Reich zerstören und die Prophezeiung erfüllen.

Das Orakel von Delphi sollte reich belohnt werden und entgegen der Warnung seines Freundes, rüstete König Krösus zum Kampf. Die Armee wurde bewaffnet und für die bevorstehende Schlacht gestärkt. An der Spitze ritt Balchemir, treu seinem Freund gegenüber führte er die Stoßtruppe an um die Verteilung der Perser zu zerreißen.
Mit Balchemir ritt nicht nur der Zweifel sondern auch die Loyalität und brüderliche Liebe. Wie Botschafter des Unheils, zogen dunkle Wolken über Sardes auf und der König ging die Flure seines Palastes auf und ab, um auf die siegreiche Rückkehr seines Freundes zu warten.

Doch mit dem Einzug der dunklen Botschafter stand auch Kyros der Zweite vor den Toren Sardes und kam in Begleitung einer Nachricht. Sein mächtiges Schwert blitzte auf, im Schein seines Sieges über das lydische Reich.
Das Schwert durchschritt die mächtigen Tore der Hauptstadt, auf dem Weg dem König die Nachricht zu überbringen.

Auch das letzte Aufgebot konnte Sardes nicht verteidigen, die Luft fand keinen Platz und wich den Todesschreien der unschuldigen Menschen.
Das Schwert zeigte kein Erbarmen und zog weiter, bis hin zum Palast.
Das kalte Metall kennt keine Barmherzigkeit und versteht auch nichts von der Redekunst. Es zerteilt und zerreißt, es trennt Leben von Tod aber ist nicht imstande das Band der Freundschaft zu durchtrennen. Obwohl das Schwert nicht zu sprechen vermag, so weiß es die Nachricht zu überbringen.

Die Nachricht die König Krösus in die Knie zwingt und ein Reich zerstört. Doch was ist schon ein Reich wert, bei dem Gedanken seinen Freund in den Tod geschickt zu haben.
Der Schrei der an jenem dunkeln Tag in die Höhe stieg, zeugte von Schuld, tiefer Trauer und einem unermesslichen Verlust. Krösus kniete vor dem mit Blut behafteten Schwert und wusste wer für den Tod Balchemirs verantwortlich ist.
Die Schuld legt sich wie ein grauer Schleier um sein Schicksal und bestimmt den Verlauf seiner Zukunft. Nicht nur seine Bestimmung wird von der Schuld ergriffen, sondern auch das Leben nachfolgender Generationen.

6

Langsam neigen sich die Tage des einsamen Mannes dem Ende zu. Die Sonne erreicht die Klippen der Schlucht und langsam atmet er die letzten Strahlen der Sonne ein.
Er weint nicht aber Trauer bestimmt dennoch seine Gefühle denn er weiss dass es die letzten Sonnenstrahlen sind die er empfangen wird. Gefangen im Stein wird sein Herz die Wärme der Sonne nicht berühren und die Strafe des Universums vollenden.
Die Vergebung der Sonne wird der einsame Mann nicht erleben und die Bitterkeit löst Tränen der Barmherzigkeit. Die Vergebung strebte er nicht für sich selbst an, sondern nachfolgenden Generationen ein schuldfreies Leben ermöglichen.

Die Tränen fließen für die Menschen die die vergangene Schuld tragen werden und ebenfalls Tränen vergießen für die Menschen die diesem Schicksal folgen werden. Wie sollen sie auch aneinander vergeben können, wenn sie nur die Schatten vergangener Leben spüren. Wie soll eine Schuld beglichen werden, wenn die Strafe so unscheinbar aber dennoch schwer auf der Schulter lastet.

Ein Leben voller Trauer kann auch der Zweifel an der eigenen Zukunft sein. Ein Zweifel der der Schatten einer Tat ist, die eine Schuld nach sich zieht.
Zeit ist eine Illusion. Eine Erfindung der Menschen um Fehler der Vergangenheit zu zuweisen. Um vergessen zu machen was passierte um den selben Fehler zu wiederholen und das Leben nach einer Illusion aufzubauen. Zeit ist der Schuld Untertan und dient nur einer Macht. Die Macht die das Blut gefrieren lässt und ein pochendes Herz in Stein verwandelt. Die Zeit ist kein Gegner und dass weiss der einsame Mann von Ulubey und nichtsdestotrotz wird er wehmütig als die Sonne die Klippen halb passiert.
Ein Leben in Einsamkeit dass ihn so viel lehrte und doch nicht von der Schuld befreit. Seine Kräfte verlassen ihn und er schleppt sich zurück ins Haus und fürchtet sich vor dem bevorstehenden Kampf mit dem schwarzen Bären, den er mit aller Voraussicht verlieren wird.

7

Während die Sonne beginnt mit ihrem Scheitel die Klippen zu verlassen, schickt sie ihre letzten Strahlen zum Nest und verschwindet danach.
Ein nun mehr blauer Himmel erstreckt sich über der Schlucht und Schatten breitet sich aus. Der Fluss zieht seine gewohnte Bahn und doch ist alles anders.
Der einsame Mann von Ulubey wartet am Fenstersims und starrt auf das Ei. Er wartet auf eine Antwort und sieht sein Ende auf ihn zu kommen. Die Stunden verstreichen in aller Stille und die Nacht legt sich über die Schlucht, mitwissend dass ein neues Licht den Himmel erobern wird. Das Atmen fällt schwerer und die Gedanken werden klarer und der einsame Mann richtet seine Worte an das Universum.

Mein Leben ist ein Geschenk und nie würde ich es nur erwägen es mit Leid und Kummer gleichzusetzen. Meine Erfahrung ist ein Schatz und jeder Tag brachte mir neues Gold dass ich in die Kiste dass ich mein Leben nenne, legte. Doch wie breche ich meine Schuld und finde Vergebung, wie schaffe ich es meinen Bären zu bezwingen ohne mich selbst zu zerstören? Wie sieht ein Leben ohne Schuld aus und existiert es überhaupt? Denn wer ist schon ohne Schuld bei seiner Geburt, ohne Vergangenheit und Anhaftung früheren Lebens?! Niemand, sage ich und werde jetzt ein letztes Mal zu dir und mir sprechen. Der Geruch des Verrates wird wohl nicht verschwinden, aber ich kann den Schleier lösen, der mich fesselt und mich von der Schuld befreien.“

Die Dunkelheit durchdringt alles und verschlingt jeden Zentimeter dieser Welt und dennoch offenbart sie was der Tag im Verborgenen hält und aus der Nacht heraus erscheint der schwarze Bär. Behutsam überquert er auf allen Vieren die Brücke und bringt mit einem entsetzlichen Gebrüll die Schlucht zum beben. Er ist sich seines Sieges sicher und erhebt seinen Körper als er das Haus erreicht.

Mit seinen übergroßen Pranken hämmert der Bär gegen die hölzerne Tür und mit jedem Schlag lösen sich Splitter die durch den ganzen Raum fliegen. Während der einsame Mann einen Kampf zwischen Furcht und Sehnsucht führt, liegt das Ei weitab des Geschehens an einem Ort des Friedens.

Keine Macht der Welt soll das Ei in seiner Behutsamkeit stören, in seiner Welt des Glückes. In dieser Welt finden die Gedanken des einsamen Mannes ihre Zuflucht. Sie sind dort frei von den Fesseln der Schuld, die Tragik der Vergangenheit reicht nicht bis in diese Welt oder können gar in ihr existieren. So weit die Gedanken auch in diese Welt reichen, so fern bleibt der einsame Mann dieser Welt und verweilt in der Vergangenheit, blickt in den Himmel und findet den Stern der Glückseligkeit.

Doch am anderen Ende des weiten Sternenhimmels wartet der Stern Theiamortem.
Sein Glanz ist erloschen und dennoch leuchtet er in all seiner Pracht und ruft den einsamen Mann zu sich. Er fleht um Vergebung, um die Erlösung seiner Schuld und verdrängt die Akzeptanz seiner letzten Atemzüge.

Während der Bär sich weit durch das Holz kämpft und bereits seinen Eingang schafft, flieht der einsame Mann mitsamt dem Ei in die Ecke seines Hauses um es zu behüten, vor seinem unbändigem Inneren. Der schwarze Bär zerreißt die Tür und das Holz schießt durch das Haus, begleitet von seinem Gebrüll. Der Bär betritt den Raum und hält Ausschau nach dem einsamen Mann. Er geht zu Boden, dem Ei, behütet in der Hand, geschieht nichts und blickt es röchelnd an.

Es bewegt sich und fängt an zu leben. Das Ei sehnt sich nach dem Leben dass es in sich trägt und ist begierig diesem Leben Flügel zu verleihen um empor zu steigen und die Botschaft der Glückseligkeit zu verbreiten. Die Glückseligkeit kämpft sich durch die Schale und der Hauch der Botschaft erreicht den einsamen Mann von Ulubey.

“ In den Tiefen meines steinernen Herzens, schlummert das Wissen der Welt.
Ich wäre ein Narr würde die Begierde, nach dem Meer dieses Wissens, meine Demut übersteigen und die Suche nach einer Wahrheit in einem endlos langem Flur mit abertausenden von Türen enden.

Doch das warme Licht der Glückseligkeit hat mich erfasst. Es durchdringt meine Poren, begleitet mein Blut durch den Körper und erleuchtet meinen Geist.
In den letzten Zügen meines weltlichen Daseins erlebe ich Freude und Begeisterung so wie ich diese Emotionen noch nie verspürt habe. Das Gesicht meiner Schuld wird bestimmt durch die Erinnerung meiner Tat.

Mein ganzes Leben bat ich um Vergebung und niemand erhörte mich. Doch wie soll mir jemand vergeben wenn die Schuld doch auf meinen Schultern lastet. Liegt es nicht an mir, min von all den Erinnerungen rein zu waschen, die Last von meiner geplagten Seele zu nehmen, um den Weg mit frohlockernder Erleichterung fortzusetzen.

Ach du süßes Licht der Glückseligkeit, wie sehr danke ich dir für diese Botschaft und bin bereit meinem Bären entgegen zu treten. Ich vergebe mir.“

Die Kraft des Lebens entwich dem Körper des einsamen Mannes und das Ei rollt zu den Füßen des Bären. Dieser brüllt und schlägt mit voller Wucht auf das Ei.
Der einsame Mann von Ulubey schwindet und nur der Schatten seiner Erinnerung vermag den Bären einzuhüllen um ihn mit an den Ort zu nehmen welcher den Menschen vorbehalten ist, die an die Vielfalt der Wahrheit glauben.

Die Pranke des schwarzen Bären verschwindet und ein kleiner Felsenkleiber kommt zum Vorschein. Er blickt auf und blickt zurück, so dann öffnet er seine Flügel und fliegt aus der Tür empor gen Sternenhimmel, folglich dem hellsten Stern.

Zurück bleibt der Schatten einer glücklichen Seele und ein steinernes Herz dass auf das Licht der Sonne wartet. Das Licht des Lebens dass die Vergebung verkündet und ermöglicht in die nächste Welt überzugehen.

8

Mit behutsamen Schritten folgt der Mann mit dem Hut den Flussverlauf. Der Abstieg auf den Grund der Schlucht hat ihn Kraft gekostet, aber die Neugier lässt ihn nicht los und kräftigt seine Beine. Die Felsformation wecken seine Begeisterung und begierig jeden Winkel zu erkunden verdreht er seinen Kopf.

Es dauert nicht lange und der Fluss ändert seinen Lauf und an der Abbiegung stößt er auf einen Steinhaufen. Sie scheinen nicht natürlichem Ursprung zu sein und er umrundet die Steine, die sich in eine Formation verwandeln. Ein Umriss wird sichtbar und nachdem er die Formation ein weiteres Mal umrundet hat wird klar dass hier mal ein Haus gestanden haben muss. Eine kleine Brücke führt zum anderen Ufer und der Fluss spielt eine Melodie aus längst vergangener Zeit. Bedächtig betritt er die Überreste des Hauses und sieht sich um als würde das Haus noch genauso stehen wie Jahrzehnte zuvor.
Der Geruch der Erlösung steigt in seine Nase und er folgt der Flugbahn der Felsenkleiber über seinem Kopf und meint den Hauch der Glückseligkeit zu spüren.

Er neigt seinen Kopf zur Seite und bemerkt eine unheimliche Energie. Es ist die Qual der Einsamkeit und Blut. Die Energie kommt von einem Steinhaufen in der Ecke des Fundaments und geht langsam darauf zu.
Er weiß nicht wieso aber er fühlt dass er zum richtigen Zeitpunkt hier ist und alles um ihn herum wird still.
Der Wind steht, die Bäume hören auf zu flüstern und die Felsenkleiber schauen auf ihn herab. Er nimmt vorsichtig ein paar Steine zur Seite und entblößt ein steinernes Herz. Es ist am pochen und er fühlt das Leben in diesem Herz, doch es leidet und dass spürt er. Die Sonne geht auf und er setzt das steinerne Herz auf die Überreste des Hauses, so dass die Strahlen der Sonne auf das Herz treffen. Warum auch immer das Gefühl des Glückes in ihm aufsteigt, es tut gut.

Ende

Nachwort

Es hat lange gedauert bis ich die Geschichte des einsamen Mannes fertigstellen konnte. Die Geschichte besteht aus den Gefühlen die ich hatte als ich die Schlucht von Ulubey besucht habe, zudem habe ich die Geschichte eines Mannes mit eingeflochten den ich auf meiner Reise begegnet bin.
Er erzählte mir von seinem Leid dass er all die Jahre gehabt hat und von seiner Zeit in der Psychiatrie. Medikamente konnten ihm nicht helfen, so zog er von Istanbul nach Usak, Ulubey.
Dort fand er die Ruhe die er brauchte und fing an zu wandern. Der Abstand zu der großen Stadt und die Ruhe zu ihm selbst halfen ihm seine psychischen Probleme zu überwinden.
Ich wollte in der Geschichte die Magie der Schlucht und die Gewalt der Natur einfangen und uns dazu inspirieren mal über den Tellerrand hinaus zu denken. Ist alles wirklich so klar wie wir es sehen oder gibt es da noch mehr?!
Als ich die Ruinen des Hauses betrat wusste ich, da steckt eine Geschichte hinter und vielleicht muss an jemanden erinnert werden. Viel zu oft lassen wir Menschen und Orte an uns vorbeiziehen ohne zu überlegen. In der Schlucht, in den Überresten des Hauses zu stehen hat mich daran erinnert was in meinem Tagebuch steht und meine Definition von Glaube ist.

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